Wer als Mittvierziger meint, er könne seine beginnende Altersweitsichtigkeit durch eine intensive Nutzung digitaler Medien, die erwiesenermaßen kurzsichtig macht, ausgleichen, handelt möglicherweise wohl doch nicht so weitsichtig … – wer ja auch zu schön gewesen.
Und – der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Myopie (Kurzsichtigkeit) wird weiter steigen, weil der Gebrauch von Smartphones, Tablets usw. immer früher einsetzt, während Aktivitäten draußen mit Blick in die Ferne zunehmend weniger werden (DOG, Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft, 10/2015). Laut Prof. N. Pfeiffer, Augenklinik Mainz, paßt sich das etwas weitsichtig geborene, zu kurze Kinderauge an die neuen Anforderungen im Nahsichtmodus an. Es resultiert ein vermehrtes Längenwachstum des Augapfels, um mit weniger Anstrengung gut nah sehen zu können, so daß ein zu langes, kurzsichtiges Auge entsteht (Sherwin JC et al (2012) The association between time spent outdoors and myopia in children and adolescents: a systematic review and meta-analysis. Ophthalmology 119: 2141-51).
Aber es wäre kurzsichtig, deutlich weitreichendere Folgen von Smartphone & Co ungenannt zu lassen. Veränderte, digitale Kommunikationsformen bringen Sprachentwicklungsstörungen und Störungen im Sozialverhalten mit sich, deren Ausmaß von uns längst noch nicht verstanden ist. Wachsende Hirnstrukturen und -netzwerke werden sich unter frühzeitiger Nutzung digitaler Medien im Kindesalter ganz anders verknüpfen als etwa beim Spielen im Freien. Angesichts möglicher Folgen – u.a. „schlechter konzentriert, motorisch ungeschickt, bindungsunfähiger (T. Reckert)“ – müssen wir Eltern unser eigene Vorbildfunktion im Umgang mit Smartphone & Co. tagtäglich selbstkritisch beäugen.
Wie es scheint, ist hierbei das rechte Augenmaß bereits abhanden gekommen. Indem digitale Medien immer und sofort reagieren, wirken sie sich negativ aus auf unsere Fähigkeit, Dinge abwarten zu können. Ungeduld und eine veränderte Zeitwahrnehmung sind eindeutig Folgen einer digitalen Lebensweise. Das Smartphone nimmt uns und unseren Kindern das Lebensgefühl der Langeweile. Ohne Langeweile aber keine kreativen Ideen. Da hilft dann auch keine Brille mehr – nicht mal die rosarote.
Ihr Dr. Guido Hein