In moderne Arztpraxen hat eine neue Sprache Einzug gehalten. Da ist der Arzt zum „Dienstleister” und „Leistungserbringer” und der Patient zum „Kunden” geworden. Natürlich klingt das erstmal vielversprechend, denn der Kunde ist ja bekanntlich König, während bereits vom Wortstamm abgeleitet Patienten [latein. patiens: aushaltend, geduldig, fähig zu ertragen; passio: das Leiden] viel Geduld mitbringen müssen.
Der hilfesuchende kranke Mensch wird nun kundenorientiert medizinisch versorgt, man spricht von „Consumer Health Care”, Medizinmarketing und einem wachsenden Gesundheitsmarkt. Selbstzahlerleistungen sind als beworbenes Instrument zur Umsatzsteigerung in Zeiten schwindender Krankenkassenleistungen unter dem Namen IGeL (Individuelle Gesundheitsleistungen) längst vom Kunden akzeptiert. Verträgt sich aber der Arzt als Kaufmann mit einer vertrauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung? – Der jüngst verstorbene, langjährige Präsident der BundesÄrztekammer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich-Hoppe, hatte hierzu immer wieder klar Stellung bezogen: „Ärzte sind keine Kaufleute, und sie verkaufen keine Ware.” – Die Realität sieht scheinbar anders aus: Niedergelassene Vertragsärzte werden von Medizinmarketingfirmen in gewinnorientierten Verkaufsstrategien geschult, gesetzliche Krankenkassen begrüßen diese Entwicklung insgeheim, da sie das GKV-System entlastet. Existieren doch für den Kassenarzt reichlichst Reglementarien, in deren Rahmenbegrenzungen er seine Patienten medizinisch behandeln und ihnen Verordnungen ausstellen darf.
Unter Kosten-Nutzen-Überlegungen soll der heutige Vertragsarzt behandeln, seine Behandlung soll gemäß dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen laut §12 SGB V nach den WANZ-Kriterien (wirtschaftlich, ausreichend, notwendig, zweckmäßig) erfolgen. Tut mir leid, Sie haben Dienstleistung statt Fürsorge gebucht. Unlängst formulierte der Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio es so: „Das Grundproblem besteht darin, dass sich die Medizin über dieses ökonomisch eingeführte Denken immer weiter von ihrer Grundidentität entfernt. Diese besteht in der Zuwendung eines professionellen Helfers zu einem hilfsbedürftigen Menschen. (…) Ein guter Arzt gibt etwas, er gibt seine Zeit, er verschenkt seine Aufmerksamkeit, er verschenkt sein mitmenschliches Interesse.” Weiter schreibt er in seinem lesenswerten Artikel „Gesundheitswesen: ärztliche Hilfe als Geschäftsmodell? (Dtsch. Arztebl. 2012; 119(16): A-804): „Wenn der Patient, wie die Politik es so gerne möchte, ein Kunde sein soll, dann hat das zur Folge, dass man diesem Kunden ja nicht primär hilft, sondern ihm zunächst einmal etwas verkauft – ob ihm aber tatsächlich geholfen wird, ist nicht ausgemacht.“
Das ist die letzte Konsequenz einer komplett ökonomisierten Medizin. Und konsequent ist dann auch: Geholfen wird nicht mehr allen, sondern nur noch dann, wenn es sich lohnt. Die eigentliche Kunst einer ökonomisierten Medizin besteht darin, eine gute Patientenselektion zu erreichen, Patienten zu akquirieren, die eine gute Bilanz versprechen, Patienten, die für eine gute Statistik taugen und denen man womöglich noch Zusatzleistungen anbieten kann.” In Patientenselektion versuchen sich auch die Krankenkassen. Gesucht werden junge, gesunde Versicherungsnehmer, die mit satten Werbemaßnahmen als Neukunden gewonnen werden sollen, während alte, chronisch kranke Patienten – wie jüngst öffentlich bekannt wurde – per Anruf zum Austritt aus ihrer Krankenkasse aufgefordert werden. Was möchten Sie nun also sein: Patient oder Kunde ? – Ach so. Na dann. Der Kunde hat schließlich immer Recht.
Ihr Dr. Guido Hein