Kaum ein Tag in einer Kinderarztpraxis vergeht, an dem nicht mindestens ein Kind mit der Frage nach einer „ansteckenden Bindehautentzündung“ vorgestellt wird. Nach Maßgabe des Kindergartens solle der umgehend aufzusuchende Arzt entweder eine Bindehautentzündung (Konjunktivitis) bestätigen oder aber ein schriftliches Attest darüber aushändigen, dass ganz und gar keinerlei Ansteckungsgefahr vorliegt. Ein Besuch der Gemeinschaftseinrichtung sei jedenfalls laut Hausordnung des Kindergartens erst dann wieder möglich, wenn eine schriftliche Bestätigung des Arztes darüber vorliege, dass besagtes Kind „frei von ansteckenden Krankheiten“ ist. Solange müssen Kind und zumeist ja auch ein Elternteil der Einrichtung fernbleiben.
Ich möchte an dieser Stelle einmal etwas verraten: In den allermeisten Fällen handelt es sich bei den leicht geröteten, eitrig tingierten Kinderaugen um eine harmlose Begleiterscheinung im Rahmen einer viralen Erkältung, eines Katarrhs (katarrhein, altgriech.: herunterfließen). Da kleine Kinder noch nicht mit so viel Nasennebenhöhlen ausgestattet sind und die Anatomie halt noch kleiner und insgesamt enger ist, neigen Schnupfensekret und Co. gemeinhin dazu, sich aufzustauen und zurückzufließen. In der Folge entstehen (durchaus schmerzhafte, aber) nach außen hin nicht sichtbare Mittelohrentzündungen und für jeden unschwer als „vereiterte Augen“ sichtbare katarrhalische Bindehautentzündungen. Während allgemein akzeptiert wird, dass ein Nasenschnupfen allein noch lange kein Grund ist, einer Gemeinschaftseinrichtung fernzubleiben, gestaltet sich das Procedere beim „Augenschnupfen“, wie ich das Ganze gerne bezeichne, mitunter weitaus schwieriger, obwohl es sich um ein und dieselbe Erkältungskrankheit handelt und die Erkältungsviren dabei auch nicht ansteckender sind als bei einer gewöhnlichen Erkältung.
Analog zum Prinzip des Naseputzens beim Nasenschnupfen besteht die beste Behandlung des Augenschnupfens darin, Gesicht und Augen mehrfach täglich mit lauwarmem Wasser zu reinigen. Nur bei von Tag zu Tag zunehmend eitrigem Augenschnupfen macht eine lokale Gabe von antibakteriell wirksamen Augentropfen überhaupt Sinn, um die Kinderaugen vor bakteriellen Superinfektionen zu schützen.
Nun. Obwohl sich (fast) alle einig sind, dass Antibiotika in der Behandlung des erkältungsbegleitenden Augenschnupfens nichts zu suchen haben, werden sie in der Regel aber doch rezeptiert, eben weil ansonsten der Zugang zum Kindergarten verwehrt bleibt.
Eher sehr selten und zumeist mit gänzlich anderen Symptomen (hochrote, stark geschwollene, schmerzende und lichtscheue Augen) einhergehend tritt dagegen die hochansteckende, nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtige Keratokonjunktivitis epidemicadurch Adenoviren auf. Hier ist sogar durchaus eine augenärztliche Mitbehandlung sinnvoll. Und – allein hierbei ist gemäß IfSchG vor Wiedereintritt in eine Gemeinschaftseinrichtung eine ärztliche Bescheinigung vorgesehen.
Übrigens. Jetzt im Frühjahr gibt es da noch den Heuschnupfen, die Konjunktivitis allergica. Auch hierbei sollte ein Zugang zum Kindergarten ohne Attestpflicht möglich sein.
Daher meine Bitte: Lassen Sie uns alle versuchen, im Umgang mit dem gemeinen Augenschnupfen gelassen und vernünftig zu bleiben, Übertherapien, Atteste und unnötige Fehltage für Kinder und Eltern zu vermeiden. Liebe Eltern, dazu gehört allerdings auch mal, ein total verrotztes Kind zur Erholung und Beobachtung ein paar Tage zuhause zu behalten.
Denn noch eines möchte ich verraten: Kindergartenkinder sind ansteckend, fast immer.
Ihr Dr. Guido Hein, 2019