Gedanken zur Impfpflicht

Nach Italien hat mit dem Jahreswechsel nun auch Frankreich die Impfpflicht für Kinder deutlich ausgeweitet. Ab 2018 geborene Kinder müssen in den ersten zwei Lebensjahren gegen elf Krankheiten geimpft werden, darunter Keuchhusten und Masern. Bislang waren nur drei Impfungen vorgeschrieben, nämlich gegen Diphtherie, Tetanus und Kinderlähmung.

Einmal ganz abgesehen davon, welche Konsequenzen bei Nichtbefolgung dieser Impfpflicht nun wirklich zu erwarten sein werden, stellt sich doch die Frage, wie hierzulande mit der Umsetzung der STIKO (Ständige Impfkommission) -Empfehlungen umgegangen werden soll. Während der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) seit etlichen Jahren eine Impfpflicht vor Aufnahme in Gemeinschaftseinrichtungen fordert, äußerte sich zuletzt sogar der STIKO-Vorsitzende Prof. Mertens dazu eher zurückhaltend und kritisch. „Dadurch würden hartnäckige Impfgegener nur zu Märtyrern aufgewertet“, so Mertens und bezeichnet eine Impfpflicht in Deutschland daher als „eher kontraproduktiv“. Bereits seit 2015 gesetzlich vorgeschrieben ist dagegen eine verpflichtende Impfberatung der Eltern vor Aufnahme ihres Kindes in eine Kindertageseinrichtung. Hierzulande setzt man also weiterhin auf Aufklärung.

Aufklärung ? – Der Aufklärungsbegriff entstammt ja dem gleichnamigen Zeitalter, in dem die Vernunft zur universellen Urteilsinstanz berufen wurde. Durch rationales Denken sollten alle den Fortschritt behindernden Strukturen (damals noch – des Mittelalters) überwunden werden. Die mündige Persönlichkeit sollte nach dem Philosophen Immanuel Kant den Mut haben, sich des eigenen Verstandes zu bedienen („Sapere aude“).

Schön und gut. Im Rahmen der kinderärztlichen Impfaufklärung sehe ich mich allerdings immer wieder diffusen Ängsten und parafaktisch geschürter Impfkritik ausgesetzt, die nicht selten jeglicher rationalen Grundlage entbehren.

„Aufklärungskampagnen zielen an den Intuitionen vorbei“, lese ich in der Süddeutschen Zeitung vom 27.01.2018 (zum Artikel) zu eben diesem Thema. Mehr Gefühle, weniger Fakten sollten in der Impfaufklärung Berücksichtigung finden. Eltern gehe es in erster Linie um moralische Intuitionen wie Freiheit (Selbstbestimmung) und Reinheit (Stichwort „Giftcocktails“), Fragen der Fairness berühren impfkritische Eltern eher weniger. Und „wenn auf Basis von Gefühlen eine Entscheidung gegen Immunisierungen getroffen ist, dringen auch keine Gegenargumente mehr durch.“

Inhaltlich stimmige und vernünftige Begriffe wie `Herdenschutz` und `Herdenimmunität` wirken im Gespräch mit Impfskeptikern eher abschreckend, denn man empfindet sich als freies, selbstbestimmtes Individuum, nicht als Teil einer Herde. Im Gegenteil, gerade ein bestimmtes gutbürgerliches Patientenklientel möchte sich durch das Nicht-Impfen von der Allgemeinheit – von der Herde – abgrenzen. Dabei ist das Thema Impfen eben keine Privatsache. Es ist auch ein Akt der Solidarität und Fairness gegenüber den schwächsten Mitgliedern unserer Gesellschaft, etwa Neugeborenen und kleinen Säuglingen, chronisch kranken und immungeschwächten Menschen. Impfen nutzt dazu genial die natürlichen Abwehrmechanismen des menschlichen Körpers und ist zuallererst eine Gesundheitschance für jeden Einzelnen.

Und nu ? – Meine eigenen Kinder habe ich selber vollständig und zeitgerecht geimpft und würde dies aus heutiger Sicht immer wieder genauso tun. Eltern, die mich fragen, empfehle ich daher, ihre Kinder frühzeitig mit ausreichendem Impfschutz zu versorgen. Kinder haben ein Recht auf das höchstmögliche Maß an Gesundheit. Bislang war es mir aber wichtig, auch mit impfkritisch eingestellten Eltern im Gespräch zu bleiben. Ich fand es immer besser, ein Kind wird etwas später geimpft als am Ende überhaupt nicht.

Nur – wieviel Verständnis ist beim Thema Impfen wirklich angebracht? Ich gewinne mehr und mehr den Eindruck: Vor lauter Verständnis fehlt (uns allen) oft der Verstand.

Ihr Dr. Guido Hein, 2018